Pflanzen – Spürsinn
Am Rande einer Bio-Wiese, nahe eines Waldes, lebt unter einem großen Bergahorn ein kleiner, frisch herausgeschossener Löwenzahn (Taraxacum officinale). Er ist da zu Hause, weil sich seine Löwenzahnmutter als Ruderalpflanze an einem kargen Platz (einer aufgerissenen Erdstelle) angesiedelt hat. Entstanden ist unser Jungpflänzchen aus dem Umstand heraus, dass der Biobauer seinen Spaten, welchen er für die Feldarbeit benötigte, in die Erde stieß und so die Löwenzahn-Mutterwurzel teilte. Sofort begann das abgetrennte Wurzelteilchen Kräfte zu sammeln, natürlich auch mit Hilfe von befreundeten Pilzen, welche ihn mit Mineralstoffen und Phosphor füttern. Im Gegenzug erhalten sie von Mutter Löwenzahn Zucker, welcher bei der Photosynthese produziert wird. In diesem Wachstumsstadium hinterlässt unser kleiner Löwenzahn seine ersten Wurzel/ bzw. Fußabdrücke in der Wiese.

Denn das Löwenzahn Jungpflänzchen entwickelt sich sehr gut, da es auf Grund der nahen biologischen Landwirtschaft durch keine Störfaktoren beeinträchtigt wird und seine Kristallstrukturen im Einklang sind, welche wiederum gute Erbinformationen an seine Nachkommen weiter geben werden.

Jetzt wo er von Tag zu Tag größer wird und prächtig gedeiht, jedoch auf Grund seiner gewählten Evolutionsstrategie festsitzt, findet es Löwenzahn Junior toll seine Umwelt mit allen Sinnen erfassen zu können.

Schmecken, riechen, hören, sehen

Er stellt fest, dass er Sehen, Hören, Schmecken und Riechen kann.
Das Löwenzahnkind beeilt sich rechtzeitig im Frühjahr Blüten zu bilden, da er die volle Sonne genießen kann, solange sein Beschützer der Baum noch keine Blätter hat. Klein Löwenzahn streckt also sein Blütenköpfchen der Sonne entgegen, um sich gut zu entwickeln, zu wachsen und zu entfalten. Schließlich ist auch er eine Ruderalpflanze mit all ihren anspruchsvollen Aufgaben. Für kleine Taraxacumpflanzen ziemlich anstrengend, daher wird er bei Nacht sein Blütenköpfchen schließen und erst bei Tageslicht öffnen. Denn dann hört er wieder das Bienensummen und wird sich bemühen mit weit geöffneter, der Sonne entgegengestreckter Blüte, Insekten anzulachen, welche seine Blütenpollen in der Landschaft verteilen sollen. Dies muss er in relativ kurzer Zeit schaffen, weil auch der Ahorn, animiert durch Vogelgezwitscher seine Blätter zu bilden beginnt, wodurch Klein Taraxacum weniger Licht zur Verfügung stehen wird.

Nun, da die Blütezeit vorbei ist und die Löwenzahnsamen sich auf den Weg gemacht haben, konzentriert sich unser Junior ganz auf die Kräftigung seiner Blattrosette und seiner Wurzeln.

Mit chemischen Rezeptoren begibt er sich auf Spurensuche und schnuppert im Boden nach Mineralstoffen Phosphor und Kalk und anderen leckeren Nährstoffen, welche ihn kräftigen und stärken sollen, um unter anderem ätherische Öle und sekundäre Pflanzenstoffe bilden zu können. Denn als Teenager wird er eine eigene Sprache sprechen können, die Proteinsprache, die ihn auch mit uns Menschen kommunizieren lässt, aber auch mit seinen Artgenossen. Er wird sie vor Fressfeinden warnen können, damit zeitgerecht angemessene Abwehrstrategien entwickelt werden und umgekehrt. Auch der Ahorn versteht diese Sprache natürlich und reagiert auf die Information „TROCKENHEIT“ mit verminderter Verdunstung über seine mittlerweile ausgetriebenen Blätter.

Unterschied der Berührungen

Unser halbwüchsiger Taraxacum selbstbewusst und gestärkt, reagiert zwar nicht wie eine Mimose auf menschliche Berührung, lernt jedoch den Unterschied zwischen der Berührung von Regen und Wind oder einem potentiellen Angreifer zu erkennen. Beim ersten Biss eines Fressfeindes in eines seiner Blätter sondert er zu seiner Verteidigung eine milchig bittere Flüssigkeit ab, um diesen abzuwehren.

Zwischen all diesen Aufgaben hat unser Löwenzahnkind das world wide web für sich entdeckt und saugt gierig über seine Wurzeln und Haarwurzeln alle Informationen auf.

Neugierig wie kleine Löwenzahnpflanzen nun mal sind, lauscht er auch der Kommunikation zwischen Mikroorganismen, Bakterien, Pilzen, sowie Insekten und ist begeistert über diese Möglichkeit Neues zu erfahren um dies mit seinen Freunden, den anderen Blumen-, Pflanzen-, Baum- und Pilzkindern zu besprechen.

Apropos Pilzkinder. Es ist Sommer und unterirdisch warten diese nur auf warme Sommernächte und Regen um aus dem Boden zu schießen. Sie stehen in den Startlöchern und unser Löwenzahn wird seine Pilzfreunde nun im Gegenzug mit Zucker versorgen, um ihnen den nötigen Wachstumsschub zu ermöglichen. Und da hat er einiges zu tun, da Pilzkinder jede Menge Geschwister haben und mit diesen sehr gut vernetzt sind.

Taraxacum Junior lernt in seiner Umgebung alles Notwendige um sich in der Natur behaupten zu können. Er nimmt es relativ gelassen, dass er und seine Mitstreiter am Anfang unserer menschlichen Nahrungskette stehen und macht sich in seiner wunderbaren Welt keine Gedanken darüber, wie wichtig er und seinesgleichen aus dem Pflanzenreich für uns Menschen sind.

Nämlich

                        NAHRUNGS- & ARZNEIMITTEL,

 

wodurch unser Löwenzahn und alle seine Artgenossen aus dem Pflanzenwelt Wirkung in uns Menschen, in den Tieren, so wie in der uns umgebenden Natur, unserer Umwelt hinterlässt.

Man erkennt diese Fußabdrücke nicht beim ersten Mal hinschauen, wenn wir uns dennoch darauf einlassen, entdeckt man ganz neue Blickwinkel und Perspektiven – SPUREN aus einer anderen Welt, welche uns jedoch ständig umgibt und beeinflusst.

(Auszug aus meiner Diplomarbeit "Sprache der Pflanzen", September 2017)